"In der Welt, aber nicht von der Welt..."

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Die Christenheit hat verschiedene Modelle entwickelt/praktiziert, mit dem "in, aber nicht von der Welt" umzugehen. Diese Modelle werden vorgestellt, mit biblischen und kirchengeschichtlichen Beispielen illustriert. Am Ende wird ein Lösungsansatz vorgeschlagen.

Notes
Transcript

Einleitung

Vorab wird in der Pause ein Zettel mit einer Knobelaufgabe verteilt: 9 Punkte, die gleichmäßig in einer 3x3 Matrix angeordnet sind, müssen mit vier geraden Strichen berührt werden, ohne hierbei den Stift abzusetzen. Solange sich der Versuch innerhalb der Matrix der neun Punkte bewegt, ist er zum Scheitern verurteilt. Man muss die “Grenzen des Systems” sprengen, in dem man zweimal über den letzten Punkt der Zeile/Spalte hinauszeichnet (als wenn es eine 4x4 Matrix wäre) - dann gelingt die Aufgabe.

Icebreaker

Wer von Euch ist ein Außerirdischer? Bitte mal die Hand heben? - (vermutlich hebt keiner die Hand)
Schön! Diese Antwort war fast zu erwarten. Auch wenn einige von uns vielleicht etwas sonderbar und außergewöhnlich sind (z.B. ich), so behauptet jeder, von dieser Welt hier zu stammen.
Er stammt also nicht vom Mond, Mars, oder vom Planeten FarFarOut, amtliche Bezeichnung: 2018_VG18. So nannte die internationalen Astronomen-Vereinigung den kleinen Planeten, der 140 Mal so weit von der Sonne entfernt ist wie die Erde.
Quelle: https://www.mdr.de/wissen/farfarout-neuer-weitenferntester-planet-entdeckt-100.html, abgerufen am 10.09.2021, 11:05

Kleiner Lobpreis

Was heißt das? Die Erde ist durchschnittlich 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Multipliziere diesen “kleinen Gang um den Block” mit 140 und du bist bei FarFarOut. Soweit hat der Mensch in die Weite der Schöpfung Gottes bereits reingucken könenn und dabei seine schöpferische Macht erkannt. Es ist zwar beeindruckend, was der Mensch so mittlerweile alles erforscht - aber vielmehr beeindruckt, was Gott mit wenigen Worten einfach geschaffen hat. Ein mächtiger Gott, dessen Möglichkeiten unerschöpflich sind!

Benennung des Themas

Aber da keiner von uns kommt von FarFarOut, sondern wir sind alle auf dieser Welt hier geboren, wir stammen von dieser Welt.
Aber: Wer hat schon einmal diesen Satz gehört: “Wir sind in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt.”?
Das ist eine gute Zusammenfassung dessen, was der Herr Jesus in Joh 17,14-18 sagt.
“In, aber nicht von dieser Welt.” Wenn wir Frommen das hören, dann nicken wir zustimmend; steht ja so in der Bibel.
Aber was genau heißt das? Wie soll man mit dieser biblischen Lehre im Alltag umgehen? Oder ist das vielleicht nur so eine fromme Formel, der man nur zustimmen muss, die aber mit dem Alltag nicht viel zu tun hat?

Überleitung

Natürlich behauptet die Bibel nirgends, dass Christen nicht von dieser Welt stammen, also dass sie Außerirdische seien. Jeder Mensch jeden Glaubens wurde auf dieser Welt geboren.
Das griechische Wort kosmos, das fast immer mit “Welt” übersetzt wird, ist ein üebraus vielschichtiges Wort, es hat viele Bedeutungen.
Interessierte lesen meine Ausführungen hierzu auf https://bibelbund.de/2015/05/weltlichkeit-freiheit-ohne-bindung/
Das Wort kann die “Wohnstätte der Menschen” beschreiben (Röm 1,8; Mt 16,26), also diesen Erdball.
Dasselbe Wort kann auch “die Gesamtheit der Schöpfung” beschreiben (z.B. Mt 13,35) und das meint dann nicht nur die Erde, sondern auch z.B. FarFarOut.
Das Wort kosmos steht aber auch dort, wo es heißt, dass wir nicht “Von dieser Welt” sind, uns nicht den “Maßstäben dieser Welt” anpassen sollen - und damit meint das Wort offensichtlich etwas anderes als die wunderbare Gesamtschöpfung oder den wunderbar von Gott geschaffenen schnuffeligen Erdball.

Der scheinbare Widerspruch

Beim aufmerksamen Bibellesen werdet Ihr immer wieder auf diesen scheinbaren Widerspruch stolpern:
EInerseits preist die Bibel die Welt, also die Schöpfung Gottes, als etwas, das zur Wahrnehmung Gottes führt und zur Anbetung Gottes führen soll (vgl. Röm 1,20.21).
Andererseits warnt sie aber auch mit sehr strengen Worten vor der Welt. Sie warnt davor, den Maßstäben der Welt zu folgen statt Jesus Christus. Jakobus sagt klipp und klar: Wer ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes (Jakobus 4,4).
Die Bibel
lehnt eine physische Trennung von den Leuten dieser Welt ab (1Kor 5,9-10)...
ruft Gläubige auf, in dieser Welt unter die Menschen zu gehen und Zeugen zu sein - genau dazu hat Jesus sie “in die Welt gesandt” (Joh 17,18)
währenddessen sollen die Zeugen aber stets aufpassen, dass sie sich nicht den Einflüssen dieser Welt aussetzen (Jakobus 1,27; 1Kor 7,31; Röm 12,2; 1Joh 2,15).
Wie will man diese Spannung auflösen?
Sollten sich Christen lieber von der bösen Welt separieren und in Zurückgezogenheit leben, um sich nicht zu beschmutzen?
Oder sollten Christen versuchen, stattdessen der aktuellen Kultur gerecht zu werden, sollen sie Einfluss auf die Institutionen der Welt suchen und auf diesem Weg die Werte der Gesellschaft von innen her zum Guten hin verändern?
Sollten Christen gar versuchen, die Kultur zu transformieren (also umzuwandeln), indem sie Kontrolle über ihre Institutionen suchen und alle weltlichen Einrichtungen im Namen Jesu für Gott beanspruchen?
Ich werde Euch drei Modelle vorstellen, wie Menschen in der Kirchengeschichte bis heute das Problem angegangen sind: In der Welt zu leben, aber nicht von der Welt zu sein. Sich unter Sündern zu bewegen, sich aber nicht ihren Maßstäben anzugleichen.
Hierbei geht es mir nicht darum, diese einzelnen Modelle mit einem abschließenden, gar verurteilendem Urteil zu belegen. Mein Ziel ist, drei der gängigen Modelle schemenhaft vorzustellen.
Am Ende soll es aber nicht um Modelle gehen - diese sind ohnehin selten in Reinkultur zu finden, häufig wird es in konreten Gemeinden oder Bewegungen Anpassungen oder Überblendungen geben. Vielleicht erkennen wir auch, mit welchem Modell wir sympathisieren.
Und ganz am Ende kommen wir dann zu der kleinen Gedankenknobelei, die ich vorhin verteilte. Sie illustriert mein heutiges Ziel für Euch.

Hauptteil

In diese Predigt verwende ich sehr viel Material aus dem Buch “ECKMAN, JAMES P.: Biblical ethics: choosing right in a world gone wrong, Biblical Essentials Series. Wheaton, IL : Crossway Books, 2004” Kapitel 3. Es ist teilweise umgestaltet, neu formuliert und überarbeitet, so dass ich es nicht in Zitaten wiedergebe.

#1: Das Modell des Absonderung

Vorstellung des Modells

In der Sozialwissenschaft spricht man von Segregation oder Separation. Ich möchte das einfachere Wort Absonderung verwenden. Das Modell der Absonderung geht davon aus, dass sich Christen von den Dingen dieser Welt fernhalten und zurückziehen sollten. Man sieht den Widerspruch zwischen dem Königtum Gottes einerseits und dem Königtum dieser Welt anderseits. Die zu treffende Wahl ist eindeutig: zurückziehen, absondern.
Dies wird zum Beispiel an folgenden biblischen Personen aufgezeigt:
Noah, den Gott aus seiner Kultur herausgerufen hat, bevor er sie zerstörte;
Abram, der sich vom heidnischen Mesopotamien entfernen sollte
Mose, der sich vom götzendienerischen Ägypten trennen sollte.
Das NT unterstreicht diese Überzeugung mit Bibelversen wie
Matthäus 6,24 ReÜ 1985
Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird einem anhängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
und
1. Petrus 2,11 ReÜ 1985
Geliebte, ich ermahne <euch> als Beisassen und Fremdlinge, daß ihr euch der fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten, enthaltet,
oder
1. Johannes 2,15 ReÜ 1985
Liebt nicht die Welt noch was in der Welt ist! Wenn jemand die Welt liebt, ist die Liebe des Vaters nicht in ihm;
Im Modell der Absonderung soll die Gemeinde von Jesus Christus eine Gegenkultur sein, die ausschließlich von Prinzipien des göttlichen Königreiches geleitet wird. Sie hat nichts mit dieser Welt zu tun.

Geschichtliche Beispiele

Erste Gemeinden

Schon in der frühen Kirchengeschichte gibt es Beispiele für dieses Modell: Bis zum Jahr 313 n.Chr. weigerten sich Christen, in der Römischen Armee zu dienen, an weltlichen Freizeitamusements teilzunehmen oder sich vor dem Kaiser als Herrn niederzubeugen. Christentum empfand sich fremdartig dieser Welt gegenüber und sonderte sich ab.

Täuferbewegung

Ein eher bekannteres Beispiel ist die Täuferbewegung, z.B. die verschiedenen Gruppen von Mennoniten und Amischen im 16. Jahrhundert, von denen einige noch heute bestehen. Ihre Betrachtungsweise kann man so beschreiben: Gottes Königreich und diese Welt sind unvereinbare Gegensätze. Die Gemeinde ist eine absolut freie Verbindung von Gläubigen, es gibt keine etablierte Staatskirche oder Verbände. Religiöse Freiheit, oftmals Pazifimus und die Weigerung, einen Schwur oder Eid zu leisten trennen diese Gemeinschaften von der sie umgebenden Gesellschaft.

Gemeinschaftsbewegung

Ein letztes Beispiel ist die Gemeinschaftsbewegung in den 1960ern: Anhänger dieser Bewegung glaubten, dass die weltweite Kirche/Gemeinde hoffnungslos weltlich geworden sei. Man gründete in Deutschland unter Bezugnahme auf Muther die Kirchlein in der Kirche. Andere meinten, dass die Christenheit zurück zum Buch der Apostelgeschichte gehen müsse, wo alle Gläubigen ihre Güter miteinander teilten, einfache Lebensweisen hatten und Gläubige deutlich von der feindlichen Kultur getrennt waren. Dieser alternative Weg, gegründet in einer radikalen Trennung von dem Nichtheiligen, würde die weltweite Gemeinde zurück zu ihren Wurzeln und zu geistlicher Wiederbelebung führen.

Ein persönliches Beispiel

Ich möchte eine persönliche Erfahrung als letztes Beispiel bringen. Das Beispiel ist in der Sache absolut nebensächlich, drückt aber diese absondernde Haltung unterschwellig aus.
Vor 20 Jahren wurde mal in Berlin eine Befragung unter freikirchlichen Gemeinden in Form eines Interviews durchgeführt.
Eine der Fragen war: “Wer leitet bei Ihnen die Gemeinde?”. Ich beantwortete die Frage, indem ich von vier Männern berichtete, die von der Gemeinde für diese Aufgabe bestätigt wurden usw. usf.
Irgendwie kam ich mit der Interviewerin ins Gespräch und sie erzählte mir, dass eine andere Gemeinde sich irgendwie mit Händen und Füßen wehrte, diese Frage überhaupt zu beantworten. Sie hatte gefragt: “Wer leitet die Gemeinde?” und die Antwort war “Der Herr Jesus Christus”. Sie hatte für die geistliche SIcht durchaus Verständnis, wollte aber wissen, wie das praktisch aussähe - wer da die Leitung innehabe. Die Antwort war auch bei merhfachen Nachfragen immer “Der Herr Jesus Christus”.
Missversteht mich nicht: Ich belächle diese Haltung nicht, aber ich kannte die Gemeinde und den Interviewpartner persönlich. Es drückt aber die innere Überzeugung aus “Leitung und Führung ist Welt, die Gemeinde hat aber nur einen Herrn: Jesus Christus”. Interessanterweise gab auch in dieser gemeinde durchaus Männer vor Ort, die das Geschehen prägten...

Eine erste Kommentierung des Modells

Pro

Was sollen wir zu diesem Modell der Absonderung oder Abschottung sagen? In einer heidnischen Kultur soll das Christentum eine attraktive Alternative sein.
Das Modell der Absonderung betont, dass eine echte biblische Christenheit einen ganz anderen Charakter als die Welt hat. Das Modell ruft Leute zur Erkenntnis auf, dass "diese Welt nicht ihr Zuhause ist”. Wir sind nicht “von dieser Welt”, wie auch Paulus lehrt.
Vertreter des Modell zeigen auf, dass selbst Christus den Zustand dieser Welt radikal abgelehnt hat. Im Ergebnis schickte ihn diese Welt ans Kreuz und er selbst ging diesen Weg um die Welt zu retten.

Contra

Und doch hat dieses Modell auch seine Baustellen, weswegen es nicht als die letztendliche Antwort auf unser Problem herhalten kann. Erstens: Abtrennung kann schnell den Asketismus befördern, eine Haltung, die schlussendlich verneint, dass Gottes Schöpfung gut ist. Das ist wichtig zu beachten
Die Bibel beginnt mit der Erklärung Gottes in 1Mose 1, dass seine ganze Schöpfung “gut” und mit der Schöpfung des Menschen “sehr gut” ist.
Paulus betont dies in kräftigen Worten in
1. Timotheus 4,4 Sch2000
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn es mit Danksagung empfangen wird;
Damit betont die Bibel, dass das von Gott geschaffene auch aus neutestamentlicher Sicht eine innewohnende Qualität besitzt. Ein System, dass das grundsätzlich anders sieht, ist nicht biblisch.
Außerdem produziert dieses System sehr schnell eine dichotome Sicht des Lebens: Hier das geistliche, da das weltliche - dazwischen eine Trennwand.
Das zeigt sich z.B. an dem irreführenden Begriff “Bruder X/Schwester Y ist in den vollzeitlichen Dienst gegangen.” Jeder Christ sollt mit 100% seiner Zeit Gott dienen - ob es am Schreibtisch eines Missionswerkes, am evangelistischen Büchertisch, an der Waschmaschine oder auf der Baustelle ist.
Für den Christen ist alles eine heilige Aufgabe. Sehr einfach formuliert Paulus das in
1. Korinther 10,31 (Luther 2017)
Ob ihr nun esst oder trinkt oder was ihr auch tut, das tut alles zu Gottes Ehre.
Schlussendlich hat dieses Modell geschichtlich bei manchem dazu geführt, dass er sich vollständig von der Gesellschaft zurückzieht. Das Gegenteil wird aber von uns verlangt. Lest 1Kor 5,9-11 - dort sagt Paulus, dass man sich nicht von den Sündern dieser Welt zurückziehen soll - selbst wenn es Unzüchtige sind, Habsüchtige, Räuber, Götzendiener.
Jesus hat uns in diese Welt geschickt, damit wir ihnen ein Zeugnis sind, also müssen wir auch irgendwie unter ihnen sein - und nicht weit weg oder nur “daneben”. Paulus scheint sogar etwas ironisch zu werden: Wer sich von den Sündern dieser Welt fernhalten will, der muss eigentlich sterben. Offensichtlich ist das Modell der Absonderung nicht das, was er vor Augen hat, oder?

#2: Das Modell der Anpassung oder Adaption

Vorstellung des Modells

Anpassung ist das Schlüsselwort für dieses Modell: Christen leben sowohl im Reich Gottes als auch in der Welt. Gott wirkt in der Welt durch die Gemeinde, aber auch durch den Staat und seine Institutionen.
Der Gläubige hat daher eine Verpflichtung beiden gegenüber. Sein Auftrag besteht darin, sich mit der Gesellschaft zu identifzieren, an Gemeinde und Gesellschaft teilzunehmen und innerhalb der kulturellen Institutionen wie Geschäftswelt, Politik, Gesetzgebung und Rechtsprechung mitzuwirken. Christen sollen in beiden Welten leben.
Biblische Beispiele werden reichlich herangezogen:
Josef, der an die Spitze des historischen Ägypten aufstieg, der als eine Art Ministerpräsident diente (1Mose 41, 41–43).
Ganz ähnlich spielte Daniel eine wichtige politische Rolle als Ratgeber, nicht nur einmal sondern für mehrere Regenten sowohl des babylonischen als auch des persischen Reiches (Dan 6,1-4).
Der Herr Jesus identifizierte sich, als er auf der Erde war, mit der Welt: Er aß und trank mit Steuereinnehmern und allerlei Sündern. Er hatte sich deutlich nicht von seiner Umwelt abgesondert, denn er war der Freund von Nikodemus und verkerhte auch mit Schlüsselfiguren der römischen Armee, z.B. dem Hauptmann.
Schließlich berichtet die Apostelgeschichte davon, dass Apostel mit dem äthiopischen Eunuchen verkehrten oder Kornelius, einem Vertreter der römischen Besatzungsmacht.
Paulus beschreibt in Römer 13 die Rolle des Staates als eine Art, wie Gott in dieser Welt wirksam ist. Gott nutzt den Staat und seine Mitwirkenden, seine Ziele zu verwirklichen

Historische Beispiele

Auch historische Beispiele sind vielzählig:
Vorhin hörten wir von Christen, die sich bis 313 nach Christus z.B. weigerten, in der römischen Armee zu dienen. In diesem Jahr verfasste Kaiser Konstantine einen Erlass, der dafür sorgte, dass sich das Verhältnis Staat-Kirche deutlich veränderte. Er gab den Kirchen ihr Eigentum zurück. Bischöfe erhielten denselben Rang wie römische Offizielle. Im Laufe der Zeit wurde die Kirche wohlhabend und mächtig. Das Christentum wurde populär, es war im Reich sozusagen “in”. Das Ergebnis war eine Selbstzufriedenheit der Kirche. Die Macht der Kirche wurde politisch und durch das Mittelalter (500-1500 nach Christus) gewann immenses Ansehen und Dominanz. Tatsächlich wurde das westliche Europa während des Papsttums von Innocenz III in den frühen 1200 Jahren von der Kirche regiert.
Das Christentum im moderneren Nordamerika sah den Nationalstaat als von Gott verordnet und mit einer bestimmten Mission beauftragt. Religiöse Leiter wie Jonathan Edwards, Charles Finney und Lyman Beecher glaubten, dass Gott Amerika wählte, um Retter der Welt zu werden, ein auserwähltes Volk, dass erlösende Zwecke für die ganze Menschheit vollbringen sollte. Gottes Königreich, so argumentierten sie, würde erst nach Amerika kommmen und würde sich dann auf über den Rest der Welt ausbreiten. Vor dem Bürgerkrieg war herrschte eine Ideologie namens Manifest Destiny vor, die die amerikanische Außenpolitik definierte. Sie sah Amerikas Institutionen als ideal an und Gott habe diese Institutionen dazu bestimmt, sich über ganz Nordamerika auszubreiten.

Eine erste Kommentierung des Modells

Die Stärken dieses Modells sind klar. Es betont, dass Christen ihr Leben in dieser Welt verbringen. Es gibt vieles in dieser Welt, dem zugestimmt werden kann und sollte, da es schlussendlich gut ist. Dieses Modell ruft Menschen auf, anzuerkennen, dass diese Welt eine Bedeutung hat und sie Gutes enthält. Es bestätigt, dass Gott am Handeln ist in und durch kulturelle Institutionen: den Staat, die Geschäftswelt und sogar die Künste. EIn Christ kann sich mit jeder dieser Einrichtungen identifizieren und aus ihnen Vorteile ziehen.
Auch die Schwachheiten des Modells glänzen. Die wohl grudnlegende Gefahr ist, dass sie den Christen in eine Selbstgefälligkeit einlullen kann, in eine Blindheit gegenüber dem Einfluss, den das Böse in den gesellschaftlichen Institutionen hat. Jeder, der in die Politik involviert ist, weiß, dass das Arbeiten in der Politik eine der größten Prüfungen für den eigenen Glauben ist. Das Böse ist jederzeit gegenwärtig und genauso gegenwärtig ist der Druck, die eigenen Überzeugungen zu kompromittieren. Dieses Modell kann auch dazu führen, dass man die vorherrschenden gesellschaftlichen Praktiken und Haltungen unkritisch zu übernehmen. Gerade in demokratischen Staaten, wo vieles über die Mehrheitsregelung angegangen wird, ist der Druck sehr groß, Umfragewerte als Grundlage einer Entscheidung heranzuziehen. Je mehr sich Christen mit den Institutionen identifizieren, desto mehr beeinflussen diese Institutionen dann auch den Christen.
Und schließlich kann dieses Modell dazu führen, dass die Kirche ihre prophetische Stellung verliert. Die Kirche wird quasi mit der gegenwärtigen Kultur verheiratet. Ein schlimmes Beispiel hatten wir in Deutschland. Die Kirche rief “lieber Hitler als Stalin” und umarmte Hitler als zweckmäßig.

#3: Das Modell der Transformation

Vorstellung des Modells

Dieses Modell setzt auf die verändernde / transformierende Macht von Jesus Christus und richtet diese auf die Kultur und Gesellschaft aus. Man anerkennt, dass die Menschheit in Sünde gefallen ist und daraus folgend Schöpfung verflucht ist. Das Modell lehrt, dass der Tod von Jesus, sein Begräbnis und seine Auferstehung den Fluch sowohl für die Menschheit als auch die Kultur und Gesellschaft zurückgenommen und aufgehoben haben. Dies sei die Grundlage dafür, dass das geschichtliche Israel wieder hergestellt werden wird (Jes 65) und auch Grundlage für das erlösende Handeln Christi, wie es im Neuen Testament (Röm 5,12-21) dargestellt wird. Röm 8,19-22 ebenso betont die völlige Neuwerden der Schöpfung befreit vom Fluch der Sünde. Diese Hoffnung wird dann übersetzt in einen Optimismus hinsichtlich der Transformation der Gesellschaft.

Historische Beispiele

In bestimmten geographischen Gegenden hat es historische Beispiele dieses Modelles gegeben. Während der Reformation konnte man diese verändernde Kraft in Genf, also dem Schaffensort von Johannes Calvin, feststellen. Calvin lehrte die allesumfassende Herrschaft Christi und dass sich dies auch auf den Staat und die Wirtschaft erstreckt. Daher unternahm die Regierung von Genf umfassende Reformen und strebte Rechtschaffenheit in der Entwicklung und Umsetzung ihrer Gesetze an. Calvin und Genf verstanden Arbeit als eine gottgegebene Berufung, unabhängig von der jeweiligen Berufsbezeichnung oder Tätrigkeit. Daher erlebte die Stadt auch eine bemerkenswerte ökonomische Veränderung.
Ein ähnlicher Veränderungsprozess charakterisiert auch die puritanische Kolonie Massachusetts Bay im 17. Jahrhundert. Die Puritaner strebten danach, alle Aspekte ihrer Kultur in Einklang mit Gottes Offenbarung zu bringen. EIne große kulturelle Transofrmation fand statt.

Eine erste Kommentierung des Modells

In diesem Modell gibt es vieles, das wohl eine Zustimmung verdient. Es anerkennt die Kraft des Evangeliums, sowohl den einzelnen Menschen als auch die Gesellschaft zu verändern. Es ist allgemein anerkannt, dass wenn ein Mensch Jesus Christus vertraut, dass sich dann seine Lebensführung und Kultur ändern wird. Schlussendlich ist nichts in der Gesellschaft immun vor dem Einfluss des Evangeliums.
Zugleich ruft dieses Modell jeden Christen dazu auf, seine Verantwortung wahrzunehmen und zu arbeiten, bis Gottes Königreich anbricht und seine Gerechtigkeit richten wird.
Nichts desto hat das Modell vermutlich auch einige ernsthafte Unzulänglichkeiten. Der Änhänger des Transformationsmodells lässt möglicherweise außer Acht, wie radikal zerstörerisch Sünde ist. Menschen bleiben der Sünde versklavt, und sogar Gläubige ringen täglich mit der verheerenden Macht der Sünde. Die Schrift fließt über vor Warnungen darüber, wie raffiniert und kampstark die Feinde in Wahrheit sind, namentlich das Fleisch und der Teufel.
Zusätzlich ist es eine Gefahr des Transformationsmodells, einen unbiblischen Optimusmus auf eine nahe Utopie (also eine schöne Zukunft) zu bewerben. Die Bibel verwirft aber eine Hoffnung auf eine schöne Zukunft (Utopie), wenn diese von der Wiederkunft von Jesus Christus losgelöst ist. Ja: Wenn der Herr wiederkommt, danach wird es eine schöne Zukunft geben - weil und wenn Christus kommt, weil Christus richtet, weil Christus alles Böse in den Feuersee werfen wird. Und erst dann wird der Sieg Christi vollendet sein und die schöne Zukunft für die Gläubigen beginnen, nicht bereits vorher durch irdische Transformation.

#4: Das Modell der Fleischwerdung

Vorstellung des Modells

Robert Webber meint, dass die beste Alternative eine Synthese aus den drei genannten Modellen ist. Er will sich dabei am Herrn Jesus orientieren,
der sich vom Bösen seiner Umwelt absonderte,
sich dennoch auf die Institutionen und Menschen einließ
und versuchte, Dinge von innen heraus zu verändern.
Indem er Menschlichkeit zu seiner Göttlichkeit hinzufügte, fügte er sich in die soziale Ordnung der Welt ein, auch unter die Leute und Gewohnheiten seiner Kultur, denken wir allein an seine Eltern und jüngeren Geschwister, an jüdische Gebräuche und politische Gegebenheiten.
Die Gemeinde, so Webber, sollte ihn nachahmen. Das sei es, was Jesus Christus als er lehrte, dass wir in der Welt aber nicht von der Welt sein sollen. Sogar der Christus sonderte sich von den bösen Verzerrungen der Schöpfungsordnung ab. Er hatte nichts zu tun mit einem falschem Umgang mit Wohlstand, sozialer Stellung oder politischem Einfluss. Letztendlich zerstörte er durch Tod, Begräbnis und Auferstehung die Macht Satans und garantierte der Welt eine Transformation ab dem Tag, an dem er in Ruhm und Macht zurückkehren wird. Auf diese Weise sollte die Gemeinde die Institutionen der Gesellschaft zu biblischer Rechtschaffenheit bewegen, während sie sich auf Christi abschließende transformierende Kraft am Tage seiner Rückkehr freut.

Wie soll ein Gläubiger dieses Modell umsetzen?

Erstens: Der Christ lebt jederzeit in dieser Spannung: Eine Spannung zwischen dem, das transformierbar ist, und dem, von dem er sich absondern soll. Zum Beispiel gibt es gute Strukturen in der Gesellschaft: in der Kunst, im Sport, bei Berufungen zu Diensten… Gleichzeitig gibt es böse Verzerrungen dieser guten Strukturen: Pornographie, Gier, Arbeitssucht (sog. workaholism), Vergötterung von Menschen. Der Christ sollte sich auf die guten Strukturen einlassen, aber sich immer von deren bösen Verzerrungen absondern. Vielleicht hilft die deutsche Redewendung: Beim Umgang mit der Kultur nicht das Kinde mit dem Bad ausschütten!
Zweitens, es gibt keine einfache Formel, wie man mit dieser Spannung leben kann. Das ist eine wichtige Erkenntnis! Die Suche nach der biblischen Antwort ist kaum erfolgreich. Christus auferlegt jedem Christen unter Beistand seines guten Geistes, die Prinzipien der Bibel auf die individuellen Situationen anzuwenden. Dies kann bei verschiedenen Menschen oder Anwedungssituationen eine nicht unwesentliche Bandbreite unterschiedlicher Bewertungen ergeben. Die Verantwortung des Gläubigen besteht darin, Gottes Wort sehr gut zu kennen, den Sinn Christi zu erforschen und einzunehmen und ein Vorgehen zu wählen, dass Gottes geoffenbarten Willen im besten Glauben entspricht.

Beispiele einer solchen Spannung

Welche Beispiele können wir für eine solche Spannung nennen? Während ein Christ sich auf die kulturellen Gegebenheiten einlässt, sich aber von den bösen Verzerrungen absondert - sollte er einen Fernseher besitzen? Sollte er ncihtchristliche Musik hören? Sollte er Socken mit Löchern stopfen oder wegwerfen?
Ganz offensichtlich werden Gläubige diese Fragen unterschiedlich beantworten, aber die verschiedenen Antworten repräsentieren eine Bandbreite innerhalb der christlichen Gemeinde.
Wie Christen diese Spannung für sich auflösen, das sollte eine gesunde biblische Toleranz wecken und auch eine Dankbarkeit für die verschiedenen Frömmigkeitsstile der Christenheit. Es ist nicht einfach sich mit der Kultur einzulassen, sich aber von den bösen Verzerrungen fernzuhalten. Einige werden sich daher gegen einen Fernseher entscheiden, werden nicht weltlicher Musik ihr Ohr leihen und werden ihre Socken vielleicht eher stopfen als sie wegzuwerfen. Sich darauf zu einigen, über solche DInge uneinig zu sein, schützt vor ungesunder Gesetzlichkeit und befördert einen gesunden Dialog, wie man in einer nichtchristlichen Kultur leben kann.
Christen müssen allezeit die Spannung auflösen, sich auf die kulturellen Einrichtungen einzulassen, sich von den bösen Verzerrungen fernzuhalten und währenddessen die Veränderung der Gesellschaft zu fördern. Wie wir mit dieser Spannung umgehen, ist ein Zeichen unserer geistlichen Reife.

Abschluss

Auflösung und Bedeutung der Knobelaufgabe

Ihr hattet diese kleine Gedankenknobelei erhalten. Mit vier Geraden sollen alle neun Kreise berührt werden, ohne den Stift abzusetzen.
Solange du dich innerhalb des Systems bewegst, also du innerhalb der 3x3-Matrix bleibst, ist diese Aufgabe nicht lösbar. Du musst an zwei Stellen aus dem System ausbrechen, also nicht beim letzten Punkt der Zeile aufhören, sondern etwas weiter zeichnen - dann kannst du mit einer Diagonale zwei Punkte durchqueren, verlässt erneut das System, um anschließend die verbleibenden zwei Geraden zu zeichnen - dies erfolgt dann wieder innerhalb Deines Denksystems.
Ich möchte diese Knobelaufgabe als Gedankenanstoß mitgeben: Manchmal stehen wir uns selbst im Weg, wenn wir unsere geistliche Prägung zum obersten Gesetz machen und deshalb in einem zu engen Rahmen denken. Nicht unsere geistliche Prägung, nicht unsere gemeindliche Sozialisation sind am Ende entscheidend, sondern ausschließlich die Regeln Gottes. Wenn wir zu enge Grenzen für unser Denken ziehen, dann werden wir im Tun mitunter stolpern oder in fast komische Widersprüche geraten. Lasst uns daher immer wieder die Bibel aus Gottes Sicht lesen und möglichst die Brille unseres theologischen Systems hinterfragen. Nicht alles muss über Bord geschmissen werden, aber möglicherweise muss man an ein, zwei Stellen etwas weiter gehen als gewohnt, um danach anderes im guten System der eigenen theologischen Sicht angehen zu können.
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