Predigt (unbenannt) (2)

Perikoben  •  Sermon  •  Submitted
0 ratings
· 7 views
Notes
Transcript

Sehen wie Jesus sieht - Handeln wie Jesus handelt

Johannes 9,1–7 BasisBibel
Im Vorbeigehen sah Jesus einen Mann, der von Geburt an blind war. Da fragten ihn seine Jünger: »Rabbi, wer hat Schuld auf sich geladen, sodass er blind geboren wurde – dieser Mann oder seine Eltern?« Jesus antwortete: »Weder er selbst hat Schuld auf sich geladen noch seine Eltern. Er ist nur deshalb blind, damit das Handeln Gottes an ihm sichtbar wird. Wir müssen die Taten vollbringen, mit denen Gott mich beauftragt hat, solange es noch Tag ist. Es kommt eine Nacht, in der niemand mehr etwas tun kann. Solange ich in dieser Welt bin, bin ich das Licht für diese Welt.« Nachdem er das gesagt hatte, spuckte er auf den Boden. Aus dem Speichel machte er einen Brei und strich ihn dem Blinden auf die Augen. Dann sagte er ihm: »Geh und wasche dich im Wasserbecken von Schiloach!« (Schiloach heißt übersetzt ›der Abgesandte‹.) Der Mann ging dorthin und wusch sich. Als er zurückkam, konnte er sehen.
I. Blindheit im wörtlichen und übertragenen Sinn
Liebe Gemeinde,
eine Geschichte vom Blindsein und vom Sehen, haben wir gerade gehört. Blindheit – damit sind in der Bibel eigentlich immer zwei Dinge gemeint: Da gibt es zum einen die Blindheit als körperliches Handicap. Wenn man, zum Beispiel, durch einen Unfall oder eine Krankheit sein Augenlicht verloren hat. – Der Mann in unserer Geschichte ist sogar von Geburt an blind.
Es gibt aber auch eine Blindheit im übertragenen Sinn. Und diese Blindheit kennen auch die, die gesunde Augen haben.
Im harmlosesten Fall hat man doch glatt das Parkverbotsschild übersehen, das gut sichtbar vor einer Hofeinfahrt platziert wurde. Im schwerwiegenderen Fall sind wir blind im Blick auf uns selbst und andere.
In unserer Geschichte aus dem Johannesevangelium geht es um beide Arten des Blindseins, um das körperliche Handicap, aber auch um die Blindheit im übertragenen Sinn:
II. Von Jesus sehen lernen
Da ist also ein Mann von Geburt an blind. Anders als blinde Menschen heute, hatte er damals keinerlei Möglichkeiten, einen Beruf zu erlernen und selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Also bringen ihn seine Angehörigen zum Tempel. Und da sitzt er nun Tag für Tag und wartet darauf, dass die Leute ihm ein Almosen geben. Viele tun das auch und lassen im Vorübergehen ein Geldstück fallen.
Richtig sehen will ihn allerdings keiner. Man kann den blinden Mann zwar nicht gänzlich ignorieren, aber sich wirklich auf ihn einlassen? Besser nicht! Denn Leid stört. Es beunruhigt. Es verunsichert, es macht Angst und irritiert. Leid und Elend passen bis heute nicht in eine Welt, in der alles perfekt zu funktionieren hat. Und wenn wir dann doch damit konfrontiert werden, befällt viele eine Art Fluchtreflex: Nur schnell weiter. Nichts wie weg.
Jesus aber bleibt stehen. Er sieht hin und nötigt so auch seine Jünger, sich mit ihrem blinden Gegenüber aus-einander zu setzten.
Und was tun die Jünger? – Sie fangen an zu diskutieren.
Sie fragen: »Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?« Die Not dieses Menschen muss doch einen Grund haben! Was hat er, was haben seine Eltern wohl falsch gemacht, dass es so schlimm mit ihm gekommen ist? Das wollen die Jünger von Jesus wissen. Dass der Bettler zu ihren Füßen das alles mitbekommt, ist ihnen womöglich gar nicht bewusst. Dass sie ihn mit ihren Äußerungen verletzen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.
Wahrscheinlich ist es nicht das erste Mal, dass der blinde Mann die Leute so über sich reden hört. Er kennt diese Diskussionen. Und vermutlich hat er sich, oft genug, schon selbst gefragt: Warum ausgerechnet ich? Was habe ich nur getan, dass Gott mich so straft?
»Meister, wer hat gesündigt?« Wir alle kennen solche Fragen und ebenso die oft unbedachten Antworten darauf.
»Wären die Eltern halt zu den Vorsorgeuntersuchungen gegangen und hätten die richtigen Tests gemacht.« »Ein Kind mit Behinderungen, das muss doch nicht sein.« Den Vorwurf, etwas falsch gemacht oder versäumt zu haben, müssen sich Eltern gehandicapter Kinder leider bis heute gefallen lassen. Als wäre ein von Geburt an krankes Kind ein »Fall«, der sich hätte vermeiden lassen und nicht ein Mensch, der seinen Eltern am Herzen liegt.
»Meister, wer hat gesündigt?« Auch nach einem Unfall heißt es oft: »Hätte er besser aufgepasst.« Oder: »Wäre sie nicht so leichtsinnig gewesen.« Als könnten alle Gefahren vermieden werden, wenn man nur vorsichtig genug ist. Auch bei Krankheiten hört man gern: »Hätte er sich gesünder ernährt.« »Hätte sie mehr Sport getrieben.« »Das hat er jetzt davon. Das ist die Strafe für seinen ungesunden Lebenswandel.« Als gäbe es da über uns so eine Art Supernanny, die uns Menschen über harte Vergeltungsmaßnahmen zu einem besseren Lebensstil zwingt.
Gläubige Menschen denken manchmal auch, in ihrer Beziehung zu Gott stimme etwas nicht, wenn sie Schweres durchmachen müssen. Sie meinen, sie wären nicht fest genug im Glauben und ihr Leid wäre nun die Quittung dafür. Als wäre Gott ein grausamer Despot, der sich über schlimme Repressalien seine Untertanen gefügig macht.
»Meister, wer hat gesündigt? Dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist«, fragen die Jünger. Und Jesus antwortet darauf unmissverständlich: »Weder noch.« Damit stellt Jesus klar, diese oberflächlichen Zuweisungen von menschlichem Fehlverhalten und menschlichem Leid sind verkehrt. Nicht jeder, der einen Herzinfarkt bekommt, hat sich falsch ernährt. Nicht jeder der verunglückt, hat bewusst fahrlässig gehandelt. Und umgekehrt ist nicht jeder, der ein leichtes Leben hat, auch ein guter und frommer Mensch.
Jesus sucht nicht nach vermeintlichen Missetaten, sondern er sieht die Menschen. Er sieht, worunter sie leiden und was sie brauchen. Der Bettler vor dem Tempel ist für Jesus kein abstrakter Fall. Er ist schlicht und ergreifend ein Mensch, der allein ist. Er braucht Hilfe.
Warum tun wir uns nur so schwer damit, Menschen in Not mit Jesu Augen zu sehen? Warum halten wir, ähnlich wie die Jünger, lieber Distanz und suchen nach Erklärungen? Hängt es mit unserer Angst zusammen, selbst vom Leid betroffen zu werden? Und mit unserem Wunsch, genau das auszuschließen? Ich denke, wir unterliegen da so einer Art Aberglauben. Ganz so als könnten wir uns vor Not und Elend schützen, wenn wir nur alles richtig machen. Als reichte es, sich zu versichern, nicht zu rauchen, jeden Morgen einen Apfel zu essen und jeden Abend ein Gebet zu sprechen. Und alles wird gut.
Aber so funktioniert das Leben nicht. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Natürlich ist es sinnvoll, Vorsorge zu treffen und natürlich sollte jeder im Straßenverkehr Rücksicht nehmen. Aber das ist nicht das Thema, wenn uns ein Mensch in Not gegenübersteht. In diesem Augenblick ist es nicht interessant, wie er in diese Situation hineingeraten ist. Wichtig ist in diesem Augenblick, wie er da wieder herauskommen kann. Sonst bleibt alles, wie es immer schon gewesen ist. Der blinde Bettler bleibt der Außenseiter, den keiner wirklich sieht. Die Jünger bleiben Gefangene ihres ängstlichen Aberglaubens.
III. Einander wahrnehmen und Zeichen der Güte und Gerechtigkeit setzen
Gott sei Dank ist unsere Geschichte hier noch nicht zu Ende. Weil Jesus dabei ist, nimmt sie eine überraschende Wende hin zum Guten für alle Beteiligten. Jesus redet nämlich nicht über den blinden Mann, er redet mit ihm. Er lässt sich auf ihn ein. Und er berührt seine kranken Augen und hilft ihm, gesund zu werden, ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Das ist die Art, wie Gott uns sieht. Das ist die Art, wie auch wir einander sehen und uns begegnen können.
Manchmal haben’s Menschen nämlich auch bei uns bitter nötig, gesehen zu werden. Das müssen nicht immer blinde Bettler sein. Es geht auch nicht immer darum, Medizin zu beschaffen oder einen Brei anzurühren wie Jesus das in der Geschichte tut. Manchmal reicht schon ein freundliches »Grüß Gott« auf der Straße. Und schon fühlt sich eine wieder willkommen und angenommen. Oder ein »Komm ich helfe dir beim Ausfüllen deines Sozialhilfeantrags«. Oder die ernsthafte und behutsame Frage: Wie geht’s deinem Kind? Wie kommst du zurecht? Kann ich dir bei irgendetwas helfen? Ich bin mir sicher, dass in dieser Art der Zuwendung ein Segen liegt. Dass solche Gesten, Worte und Taten Wunder bewirken können. Vielleicht nicht so spektakuläre wie das Wunder der Blindenheilung, aber dennoch ein Segen.
Die Evangelisten haben Jesu Wunder Zeichen genannt. Ich finde das einleuchtend. Denn die Heilung des Blindgeborenen, ist für mich ein Zeichen. Ein verheißungsvoller Hinweis, dass es andere Möglichkeiten gibt als die wegzuschauen. Wir können Leid nicht immer verhindern. Es passiert, leider. Aber wir können Menschen in ihrer Not sehen und dann das Gebotene tun. Wir können Zeichen der Güte und des Mitgefühls setzen. Gott gibt auch heute seinen Segen dazu.
Dazu ermutigt Jesus seine Jünger. Und Euch/Sie auch! Und er macht es dringlich: Tut es, solange ihr es könnt. Es kann auch eine Zeit kommen, in der es euch nicht möglich ist. Oder in seinen eigenen Worten: »Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.« Amen.